Donnerstag, 27. Januar 2022

Geburtstag

 


Das Virus hat heute in Deutschland seinen 2. Geburtstag. Dazu gibt es auch passend zwei neue Rekorde:

Die Zahl der täglichen Neuinfektionen hat die 200 000 überschritten und 7-Tage-Inszidenz ist größer als 1000. Aber Gott sei Dank ist die Hospitalisierungsrate gering und die Intensivbetten sind (noch) nicht ausgelastet. 


 PS.: Meinen Geburtstag habe ich eine Woche später mit Freunden gefeiert. Statt Geschenken gab es von Jedem einen kleinen Beitrag zur Mitfinanzierung eines VW-Busses für einen ehemaligen Mitstudenten von mir, der jetzt in Russland als Priester tätig ist. So konnte ich ihm 500,- Euro überweisen. Danke allen für ihren Beitrag.

Blog von Pfr. B. Marschner in Russland


 


Und wer jetzt traurig ist, dass die Party vorbei ist, der findet Trost in der Weltschmerz-apotheke:

https://weltschmerzapotheke.de/

Mittwoch, 26. Januar 2022

Zug fährt ab

 

Der Intercity Zug IC 2440 braucht momentan für die Strecke von Dresden nach Leipzig zwei Stunden.
Zwei Stunden durch das Hinterland, da bei Riesa eine Baustelle ist. So lerne ich auch mein alte Heimat
 ein wenig kennen. Es geht über Doberlug-Kirchhain vorbei an Bad Liebenwerda, wo ich zu Armeezeiten
 den Schießplatz kennenlernen durfte, und dann bei Torgau wieder über die Elbe. 
Ab und zu hält der Zug, aber nur auf freiem Felde; einen planmäßigen Stopp zum Ein- und Aussteigen gibt es nicht. Ich sehe, wie ein Fuchs übers Feld läuft und ich bin bereits Lieblingsgast der Bahn.  
 
 Irgendwann erreichen wir Leipzig.
 

Dann geht es wieder „normal“ weiter: 39 Minuten braucht der Zug von Leipzig bis Erfurt (150 km) und  
knapp 3 Stunden von Erfurt nach Augsburg (400 km). Im Zug habe ich genügend Zeit, in Ruhe noch einmal
die vergangenen Tage Revue passieren lassen:
Kurzentschlossen sind wir mit dem Zug zu Freunden nach Erfurt gefahren. Eine Rückfahrkarte hatten wir noch nicht. Das war die erste (göttliche?) Fügung, denn als ich am nächsten Tag mit meiner Mutter telefonierte, stellte es sich heraus, dass es gut wäre, auch meinen Eltern einen Besuch abzustatten.

So ging meine Reise dann weiter nach Radeberg, während Moni wieder nach Augsburg zurück gefahren ist. Die zweite Fügung war, dass ich dabei sein konnte, als der Pflegedienst seinen Kontrollbesuch machte, nachdem er seinen ursprünglichen Termin verschoben hatte.

Erleichtert und froh waren meine Eltern über meinen Besuch und so sitze ich 3 Tage später wieder im Urlaubsmodus im Zug, der mich zurück nach Augsburg bringt. Mit 250 km/h geht es durch den Thüringer Wald und als wir zwischen den einzelnen Tunneln kurzzeitig auftauchen, bin ich überrascht, dass die Landschaft draußen plötzlich für kurze Zeit weiß verschneit ist.
Die Zeiten zum Umsteigen nutze ich, um die Bahnhöfe zu erkunden. Im Bahnhof Dresden-Neustadt entdecke ich neben dem großen Porzellan-Wandbild mit der Darstellung von Sehenswürdigkeiten im Dresdner Raum auch eine Gedenktafel, welche an die Deportation von unzähligen Juden mit der Bahn erinnert.  

(Das ist übrigens ein Grund, warum in Israel zunächst das Busnetz anstelle der Bahn ausgebaut worden ist. Erst seit kurzem werden in Israel auch Strecken für die Bahn gebaut.)
Acht Stunden, nachdem ich die Wohnung meiner Eltern verlassen habe, bin ich wieder glücklich daheim in meinen eigenen vier Wänden. 

 

 

Freitag, 7. Januar 2022

Heilige Drei Könige

 


Bei einem Spaziergang mit Freunden am Dreikönigstag sind wir an diesem Schaufenster vorbeigekommen. Der kleine Laden hat seit längerer Zeit sein Geschäft eingestellt, aber wie schön, dass die Weihnachtskrippe trotzdem aufgebaut wird.



Gegenüber der katholischen Heilig-Geist-Kirche von Hochzoll habe ich diesen „Mauerdurchbruch“ entdeckt. Anschließend waren wir in der Kirche und haben uns die Krippendarstellung angeschaut. Sie lädt zum Verweilen ein und daher hier noch Gedanken von Byung-Chul Han, einem deutschen Philosophen der Gegenwart mit koreaneischen Wurzeln.:



Die Wahrnehmung, die sich an Information heftet, hat keinen langen und langsamen Blick. 
Informationen machen uns kurzsichtig und kurzatmig. 
Es ist unmöglich bei Informationen zu verweilen. 
Das kontemplative Verweilen bei den Dingen, das absichtslose Sehen, 
das eine Formel des Glücks wäre, weicht dem Jagen nach Informationen. 
Wir rennen heute Informationen nach, ohne Wissen zu erlangen. 
Wir nehmen Kenntnis von allem, ohne zu einer Erkenntnis zu gelangen. 
Wir fahren überall hin, ohne eine Erfahrung zu machen. 
Wir kommunizieren ununterbrochen, ohne an einer Gemeinschaft teilzunehmen. 
Wir speichern Unmengen von Daten, ohne Erinnerungen nachzugehen.
Wir akkumulieren Friends und Follower, ohne einem anderen zu begegnen.“
 

PS.: also verweilen wir noch ein wenig an der Krippe. z.B. in der Jakoberkirche, die ich am nächsten Tag besucht habe.




Da gibt es nicht nur eine interessante Krippe sondern auch ein schönes Weihnachtsfenster.




 


Samstag, 1. Januar 2022

Neujahr

 


Neujahrswünsche

Herr, setze dem Überfluss Grenzen
Und lass die Grenzen überflüssig werden.

Lass die Leute kein falsches Geld machen,
aber auch das Geld keine falschen Leute.

Nimm den Ehefrauen das letzte Wort
und erinnere die Männer an ihr erstes.

Schenke unseren Freunden mehr Wahrheit
und der Wahrheit mehr Freunde.

Bessere solche Beamten, Geschäfts- und Arbeitsleute, die wohl tätig,
aber nicht wohltätig sind.

Gib den Regierenden ein besseres Deutsch
und den Deutschen eine bessere Regierung.

Herr, sorge dafür, dass wir alle in den Himmel kommen.
Aber nicht sofort.

Amen.

(Pfarrer Hermann Kappen von St. Lamberti zu Münster 1883)

 

So sah der letzte Sonnenuntergang im vergangenen Jahr von unserer Wohnung aus:



Und hier zum Jahresbeginn noch ein Text von Julia Engelmann:


Eines Tages, Baby, werden wir alt sein. Oh Baby, werden wir alt sein und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können. Ich, ich bin der Meister der Streiche, wenn's um Selbstbetrug geht. Bin ein Kleinkind vom Feinsten, wenn ich vor Aufgaben steh. Bin ein entschleunigtes Teilchen, lass mich begeistern für Leichtsinn – wenn ein and'rer ihn lebt. Und ich denke zu viel nach. Ich warte zu viel ab. Ich nehm' mir zu viel vor – und ich mach davon zu wenig. Ich halt mich zu oft zurück – ich zweifel alles an, ich wäre gerne klug, allein das ist ziemlich dämlich. Ich würde gern so vieles sagen aber bleibe meistens still, weil, wenn ich das alles sagen würde, wär das viel zu viel. Ich würd' gern so vieles tun, meine Liste ist so lang, aber ich werd eh nie alles schaffen – also fang ich gar nich' an. Stattdessen häng' ich planlos vor'm Smartphone, wart' bloß auf den nächsten Freitag. Ach, das mach' ich später, ist die Baseline meines Alltags. Ich bin so furchtbar faul wie ein Kieselstein am Meeresgrund. Ich bin so furchtbar faul, mein Patronus ist ein Schweinehund. Mein Leben ist ein Wartezimmer, niemand ruft mich auf. Mein Dopamin, das spar ich immer –falls ich's nochmal brauch. Und eines Tages werd' ich alt sein, oh Baby, werd' ich alt sein und an all die Geschichten denken, die ich hätte erzählen können. Und du? Du murmelst jedes Jahr neu an Silvester die wieder gleichen Vorsätze treu in dein Sektglas und Ende Dezember stellst du fest, dass du Recht hast, wenn du sagst, dass du sie dieses Jahr schon wieder vercheckt hast. Dabei sollte für dich 2013 das erste Jahr vom Rest deines Lebens werden. Du wolltest abnehmen, früher aufstehen, öfter rausgehen, mal deine Träume angehen, mal die Tagesschau sehen, für mehr Smalltalk, Allgemeinwissen. Aber so wie jedes Jahr, obwohl du nicht damit gerechnet hast, kam dir wieder mal dieser Alltag dazwischen. Unser Leben ist ein Wartezimmer, niemand ruft uns auf. Unser Dopamin das sparen wir immer, falls wir's nochmal brauchen. Wir sind jung, und ham' viel Zeit. Warum soll'n wir was riskieren, wir woll'n doch keine Fehler machen. wollen auch nichts verliern. Und es bleibt so viel zu tun, unsere Listen bleiben lang und so geht Tag für Tag ganz still ins unbekannte Land. und eines Tages, Baby, werden wir alt sein, oh Baby, und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können. Und die Geschichten, die wir dann stattdessen erzählen werden – traurige Konjunktive sein wie: "Ein mal bin ich fast einen Marathon gelaufen und hätte fast die Buddenbrooks gelesen und einmal wär' ich beinah bis die Wolken wieder lila war'n noch wach gewesen und einmal, fast hätten wir uns mal demaskiert und gesehen wir sind die gleichen und dann hätten wir uns fast gesagt, wie viel wir uns bedeuten. "werden wir sagen. Und das wir bloß faul und feige waren, das werden wir verschweigen, und uns heimlich wünschen, noch ein bisschen hier zu bleiben. Wenn wir dann alt sind – und unsere Tage knapp, und das wird sowieso passier'n, dann erst werden wir kapier'n, wir hatten nie was zu verlier'n – denn das Leben, das wir führen wollen, das können wir selbst wählen, also lass' uns doch Geschichten schreiben, die wir später gern erzähl'n. Lass uns nachts lange wach bleiben, auf's höchste Hausdach der Stadt steigen, lachend und vom Takt frei die allertollsten Lieder singen. Lass uns Feste wie Konfetti schmeißen, sehen, wie sie zu Boden reisen und die gefallenen Feste feiern, bis die Wolken wieder lila sind. Lass ma' an uns selber glauben, ist mir egal ob das verrückt ist, und wer genau guckt sieht, dass Mut auch bloß ein Anagramm von Glück ist. Und – wer immer wir auch war'n - lass mal werden wer wir sein wollen. Wir ham' schon viel zu lang gewartet, lass mal Dopamin vergeuden. Der Sinn des Lebens ist leben, das hat schon Casper gesagt, let's make the most of the night, das hat schon Kesha gesagt, lass uns möglichst viele Fehler machen, und möglichst viel aus ihnen lernen. Lass uns jetzt schon Gutes sähen, dass wir später Gutes ernten. Lass uns alles tun, weil wir können – und nicht müssen. Weil jetzt sind wir jung und lebendig, und das soll ruhig jeder wissen, und – unsere Zeit die geht vorbei, das wird sowieso passier'n, und bis dahin sind wir frei und es gibt nichts zu verlier'n. Lass uns uns mal demaskier'n und dann sehen wir sind die gleichen und dann können wir uns ruhig sagen, dass wir uns viel bedeuten, denn das Leben das wir führen wollen, das könn' wir selber wählen. Also – los, schreiben wir Geschichten die wir später gern erzähl'n. Und eines Tages, Baby, werden wir alt sein. Oh Baby, werden wir alt sein. Und an all die Geschichten denken, die für immer unsere sind.“

Julia Engelmann, beim 5. Bielefelder Hörsaalslam am 7. Mai 2013 -

hier kann man sie sehen und hören: 

 Julia Engelmann beim Poetry Slam