Sonntag, 5. April 2020

Palmsonntag



Wie feiert man Palmsonntag, wenn alle Gottesdienste abgesagt sind? Gott sei Dank muss ich mir diese Frage nicht stellen, denn es sind ja nur alle öffentlichen Gottesdienste abgesagt. So habe ich die Möglichkeit, hinter dicken Gefängnismauern, nachdem ich 10 Türen auf- und wieder zugeschlossen habe, mit meinen „Klienten“ Gottesdienst zu feiern. Das hat vermutlich als ersten Grund, Zustände wie in Italien zu vermeiden. Dort sind die Gefangenen aufgrund der weiteren Beschränkungen auf Dach gestiegen. Das wollen wir hier natürlich nicht und so gibt es als eines der wenigen Angebote für die Gefangenen noch die Möglichkeit zum Gottesdienst. Allerdings mit dem gebotenen Abstand, denn der Virus kann bekanntlich nicht lesen und macht auch vor verschlossenen Türen nicht Halt. So bin ich gestern und heute 4 Mal mit ca. 15 Gefangene in Gedanken nach Jerusalem eingezogen und habe mit ihnen „Hosianna“ gerufen. Hosianna – ein Jubel- und Hilferuf aus dem Psalm 118. An Aktualität hat dieser Ruf auch nach über 2000 Jahren nichts eingebüßt, da er zu gut Deutsch soviel wie „Ach Herr, bring doch Rettung“ heißt.
Ich war überrascht, mit welcher Andacht die Gefangenen mitgefeiert haben und hoffe, dass dies nicht nur daran lag, dass sie weit auseinander saßen und so keine Chance hatten, mit ihrem Nachbarn zu schwatzen oder andere Geschäfte zu machen.



Ein Gefangener hat für den Gottesdienst folgendes Gebet geschrieben:
Herr unser Gott, uns befallen Ohnmacht und Angst, Mutlosigkeit und Ungewissheit, Hoffnungslosigkeit und Traurigkeit, Wut und innere Kämpfe. Ja, die Angst vor dem Virus hat auch unseren Gefängnisalltag in Besitz genommen.
Mit dem Nicht-Wissen, wie unsere Familien und Freunde da draußen auf der anderen Seite der Mauer ihren schwierigen Alltag ohne uns meistern, steigert sich unsere Machtlosigkeit und raubt uns den klaren Gedanken.
So bitten wir dich, gib uns Kraft und Stärke.
Lass unsere innersten Gedanken frei sein bei unseren Lieben da draußen, lass unsere Gedanken die Mauern überwinden, um wenigstens gedanklich einen kurzen Moment bei unseren Familien und Freunden zu sein.
Gib uns auch die Kraft und die notwendige Ruhe, die wir bewahren müssen, damit wir nicht in andauernde Unruhe verfallen.
AMEN.“


Auf dem Rückweg vom Gefängnis war die Straße wie leergefegt und so entdeckte ich im Vorbeifahren dieses Transparent an einer Hauswand. Nicht umsonst, denn heute ist der 20. Tag der Krise und wir haben jetzt 97.000 Infizierte und 1478 Todesfälle in Deutschland.


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